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SCHALL #23 - Interview mit Michael Fuchs-Gamböck

"Ich habe gespürt, wie ich in ein emotionales Loch gefallen bin, mich eine tiefe Traurigkeit umschattet hat"

Welch erstaunliche Geschichte Arjon Capel über sein bisheriges Leben zu erzählen hat. Der Mann aus dem holländischen  Leiden,  der  seit  36  Jahren  in Deutschland lebt und 33 Jahre lang IT-Manager bei einer großen Firma war, legt mit

„Neue Wege“ das Nachfolgealbum zum Debüt „InneHalten“ vor. Die aktuelle Scheibe wird übrigens passenderweise beim Label Sturm & Klang verlegt, dessen Betreiber kein Geringerer als Konstantin Wecker ist. Passenderweise deshalb, weil Capel wie Wecker ein Lieder- macher in der Tradition von Herman Van Veen oder Georg Danzer ist. Der 61-Jährige trägt seine Lieder in diesem herrlich perlenden Rudi Carrell-Deutsch vor, womit sich der Kreis zum Utrechter Landsmann Van Veen endgültig schließt.

 

Capel war in guter Position als erfolgreicher IT-Manager – als seine Mutter ihn 2013 anrief und meinte: „Ich habe nur noch drei bis sechs Monate zu leben.“ Der Sohn war erschüttert, traf sich mit ihr, die Mama drückte ihm eine Gedicht-Kladde in die Hand.

Kurze Zeit danach verstarb sie. Er machte aus Poesie-Fragmenten Texte für eigene Lieder. „Neue Wege“ wiederum setzt sich mit der eigenen Krankheit -deren Überwindung - auseinander: Burnout. Arjon war mit Herzmuskel-Problemen im Krankenhaus, kurz danach attestierte man ihm eine Depression. Er stellte sein komplettes Leben um, löste sich von seinem Job. Seither macht er ausschließlich Musik. Und: Er ist beim Telefoninterview bester Laune.

 

Was sind die Unterschiede zwischen dem Debüt und dem neuen, zweiten Album?

 

Bei der ersten Platte geht es vor allem um den Tod meiner Mutter, um ihre Gedichte. Auf der neuen Scheibe dreht sich vieles um meine ureigene persönliche Entwicklung, um positive wie negative Erfahrungen.

 

Wie kamst Du als jemand, der 33 Jahre lang IT-Experte in gehobener Position aktiv war, letztlich zur Entscheidung, nur von der Musik leben zu wollen?

 

Ich habe schon als Junge und Jugendlicher gerne gesungen, irgendwann auch mit dem Gitarrenspielen begonnen. Dann kam das Studium, danach der Job, der eine Menge Zeit in Anspruch genommen hat. Plötzlich kam der Anruf meiner Mutter aus heiterem Himmel: „Junge, ich habe noch drei bis sechs Monate zu leben, da ist dieser unheilbare Gehirntumor.“ Ihr letzter Wille war es, dass die ganze Familie zusammenkommt, für eine Pyjama-Party. Und dass wir alle gemeinsam Musik machen.

Dadurch griff ich wieder zur Gitarre und habe gesungen. Das Feuer wurde neu entfacht.

 

 Die neue Platte soll ein Befreiungsschlag für Dich gewesen sein. Wie ist das zu verstehen?

 

„Morgen ist Heute“, so lautet die Devise des Projekts. Man braucht schließlich Mut, um intensiv zu leben. Die neue Scheibe

symbolisiert gleichfalls: „Weniger ist mehr.“ Und auch: „Versuch, deinen Kopf gelegentlich auszuschalten.“

Ich wollte schlicht ein freier Mensch werden mit diesen neuen Liedern. Zudem erzähle ich liebend gerne Geschichten.

 

In der Öffentlichkeit nennst Du Dich gerne einen „Familienmensch“...

 

Ich kann gut mit mir alleine sein, besitze meine innere Balance. Ich meditiere regelmäßig. Das verleiht innere Stärke. Und wenn man mit sich selbst im Einklang steht, kann Kraft und Energie und Liebe an die Menschen um einen rum weitergegeben werden. Vor allem an die Familienangehörigen.

 

Wie kam der Kontakt mit Liedermacher-Ikone Konstantin Wecker zustande?

 

Dazu sollte man wissen, dass ich mir die deutsche Sprache autodidaktisch beigebracht habe. Vor allem durch das Hören der Lieder etwa von Herbert Grönemeyer, Nena oder eben Konstantin. Sein Song „Was ich an dir mag“ hat mich auf der Stelle berührt. Als ich die Lieder für meine zweite Scheibe fertig gestellt hatte, wollte ich zur Veröffentlichung einen Musik-Verlag finden. 

Dabei fiel mir Konstantin ein, der seinen eigenen Verlag besitzt. Ich habe dort einfach mal angerufen. Eigentlich irre! Ich schickte denen meine Demos. Irgendwann kam der Rückruf, sie hätten Interesse an den Dingern. Jetzt wurden sie veröffentlicht.

Alles ging ziemlich unkompliziert.

 

Es heißt, wenn Du komponierst, fühlst Du Dich „zeitlos“. Was heißt das konkret?

 

Dass ich mich komplett frei fühle! Ich habe über Jahre hinweg Yoga gemacht. Und trotzdem gespürt, wie ich in ein emotionales Loch gefallen bin, mich eine tiefe Traurigkeit umschattet hat. Doch durchs Komponieren von Musik bin ich aus dem Loch herausgeklettert. Ich habe mich dadurch von meinem eigenen Unglück und der Unfreiheit losgelöst.  

Ohne  die  Musik  hätte  ich  niemals eine Zeile geschrieben wie: „Soll ich weinen, oder darf ich mich noch freuen.“

 

 

Wann wurde klar, dass die aktuelle Produktion „Neue Wege“ heißen würde?

 

Relativ schnell. Einfach aus dem Grund, dass so viel in meinem Leben passiert ist und der neue Lebensabschnitt als Musiker einen befreienden „Neuen Weg“ für mich kennzeichnet. Dadurch war der Titel naheliegend.

 

Deine Texte sind unterhaltsam, aber auch immer wieder politisch. Bist Du eine Art Polit-Entertainer?

 

Könnte man so beurteilen. Tatsächlich sollte man als Liedermacher Ideale besitzen. Und diese in unterschiedlichster Form umsetzen.

 

Wie wichtig ist Dir bei Deinen Stücken der Humor, das Augenzwinkern?

 

Äußerst wichtig! Wobei das Lachen und das Düstere bei mir eng beieinander liegen. Doch genau aus dieser kontroversen Schnittmenge resultieren meine Lieder. Ich bin nun mal der, der ich bin.

 

 Arjon Capel - Neue Wege

Sturm & Klang/Alive 

 

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